lauram Laura M.

Graf und Gräfin Mallone waren in Washington sehr beliebt. Der Graf war alt und kränklich und sah noch älter und kränklicher aus als er es in Wirklichkeit war. Dies bot ihm, so oft er es wünschte, den Vorwand, sich zurückzuziehen, und er gebrauchte diesen Vorwand häufig, denn er gehörte zu einer aussterbenden Schule von Diplomaten, die sich mit dem Nimbus des Geheimnisvollen zu umgeben liebten...


Klassiker Alles öffentlich.

#Graf #Gräfin #Wahington #Geheimnis
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I

Graf und Gräfin Mallone waren in Washington sehr beliebt.

Der Graf war alt und kränklich und sah noch älter und kränklicher aus als er es in Wirklichkeit war. Dies bot ihm, so oft er es wünschte, den Vorwand, sich zurückzuziehen, und er gebrauchte diesen Vorwand häufig, denn er gehörte zu einer aussterbenden Schule von Diplomaten, die sich mit dem Nimbus des Geheimnisvollen zu umgeben liebten. Unnahbar zu sein und sich wie ein Regenbogen nur selten zu zeigen, galt dem Grafen als erste Tugend eines Herrschers, und da er es mit der Botschafteraufgabe, seinen Souverän persönlich zu repräsentieren, sehr ernst nahm, so hatte er sich auch stets die Kultivierung der entsprechenden Eigenschaften angelegen sein lassen.

Gräfin Mallone war jung und schön und schien beides noch mehr als sie es wirklich war. Und dies traf sich glücklich in einem Lande, wo es viele junge und schöne Frauen gibt. Als die Gräfin in Washington angelangt war, hatte sie eine unbesetzte Stelle in der dortigen Gesellschaft vorgefunden, die nur darauf wartete, von ihr eingenommen zu werden. In jenen Jahren gab es nämlich in Washington eine solche Fülle von Diplomaten mit amerikanischen Frauen, daß die Washingtonianer anfingen, dieser Marquisen, Duchessas und Ladies etwas überdrüssig zu werden, die sich alle rühmen konnten, Töchter Chicagos, Detroits oder Omahas zu sein. Daß ihnen mal eine authentisch auf der »andern Seite« geborene Frau geschickt wurde, erschien als angenehme Abwechslung. Gräfin Mallone war erst seit ein paar Wochen in Amerika gelandet, als sie bei einem der unzähligen Tees, in denen die Washingtoner Welt sich wohlgefällt, im Hause eines berühmten Senators, wo alles von Marmor und Vergoldung funkelte, Mrs. Homer Dwight Mix, die Frau eines eben gewählten Abgeordneten aus dem fernsten Westen, kennen lernte, die ihr sagte: »Ich freue mich aber wirklich, Sie kennen zu lernen, Frau Botschafterin, und daß Sie nicht eine von uns sind, sondern der unverfälschte Artikel aus Ihrem eigenen Land. Als ich mich nämlich entschloß, Mr. Dwight Mix nach Washington zu begleiten, sagte ich ihm: Homer, lieb, mit all den ausländischen Diplomaten, die da herumwimmeln, wird es so fördernd für meinen Geist sein, wie ein Ausflug nach Europa – minus die Seekrankheit.«

So war denn Gräfin Mallone die Europäerin Washingtons. Sie machte ein sehr großes Haus und empfing die zahlreichen freien Amerikaner, die aus allen Teilen der Union allwinterlich nach Washington strömen, mit jener unwandelbaren Liebenswürdigkeit, die so oft der Ausdruck völligster Gleichgültigkeit ist. Aus der Zeit, da sie vor ihrer Verheiratung Hofdame gewesen und von den vielen Posten an Höfen her, wohin sie ihren Mann begleitet hatte, ehe dieser zum Botschafter bei der großen Republik ernannt wurde, war eine gewisse Hofluft an ihr haften geblieben. Und merkwürdigerweise trug auch dieser Zug zu ihrer Beliebtheit in Washington bei. Sie war eben so »echt«! Gräfin Mallone war sich bewußt, an den höchsten europäischen Modellen studiert zu haben, welche Haltung für jede Lebenslage die korrekte ist, und sie war so felsenfest davon überzeugt, stets das Richtige zu tun, daß sie diesen Glauben auch andern zu suggerieren wußte. Man hatte sie auf einem ihrer früheren Posten »die Unfehlbare« genannt.

Nachdem aber Gräfin Mallone ein paar Jahre in Washington gewesen, begann sie sich unendlich zu langweilen. Sie kannte nun zur Genüge die gedrängten Feste im Weißen Hause und all die Washingtoner Empfangstage, von denen immer ein Dutzend auf einen Kalendertag entfällt; sie hatte auf all den zahllosen Bällen neu emporschießender Milliardäre getanzt, die, um nur ja nicht parvenumäßig zu erscheinen, Kotillongeschenke nicht mehr aus Gold, sondern nur noch aus Silber geben, und deren Frauen Perlenketten tragen, »um sich vor dem Zug zu schützen«. Sogar die gelegentlichen Ausflüge nach New-York, diesem Refugium der washingtonmüden Diplomaten, reizten Gräfin Mallone nicht mehr, und sie verfügte auch nicht, wie ihr Mann, über die Zerstreuung, das Ergebnis ihrer persönlichen Beobachtungen stets von neuen in diplomatischen Berichten niederlegen zu können. Es fehlte natürlich nicht an jungen Leuten, die auch nicht recht wußten, was mit allen Stunden des Daseins beginnen, und die gern bereit gewesen wären, in Gesellschaft der Gräfin das Experiment zu versuchen, ob zwei vereinte Langweilen sich vielleicht gegenseitig aufzuheben vermögen. Aber Gräfin Mallone war keine Frau der Seitenwege. Die Landstraße war zwar öde und staubig, aber an den verstohlenen Pfaden gab es zuviel Dornen, und man wußte auch nie ganz genau, wohin sie führten. So war sie zwar stets umschwärmt von einer Anzahl meist sehr jugendlicher Bewunderer, denen ihre Sicherheit imponierte und ihre Eleganz schmeichelte, aber die leichte Abwehr solcher nicht sehr ernst gemeinten Angriffe war ein längst gewohnter und keine besonderen Sensationen mehr erweckender Bestandteil ihres Lebens geworden. Am meisten Befriedigung gewährte es ihr noch, wenn sie sich einbilden konnte, in das Schicksal des einen oder andern dieser Jünglinge leitend eingegriffen zu haben. Aber solche Gelegenheiten waren selten, und mittlerweile langweilte sie sich.

Da sie aber viel zu korrekt war, um sich einer niedergeschlagenen Stimmung lange hinzugeben, schaute sie sich um, womit des Lebens Leere zu füllen, und kam auf den Gedanken, daß es etwas Schönes ums Familienleben sei. Sie entsann sich, außer der Zeit, daß sie eine Schwester und Nichte besaß, deren sie sich sonst nur zu Weihnachten und Geburtstagen zu erinnern pflegte, und sie kam zur Überzeugung, daß es für die verwitwete Schwester zerstreuend und für die kaum erwachsene Nichte bildend sein würde, einige Zeit bei ihr in Washington zu verbringen. Denn wenn die Gräfin etwas von andren wollte, fand sie gewöhnlich, daß es für die andren besonders wünschenswert sei. Sie beschloß, die geplante Einladung mit ihrem Mann zu besprechen, und als sie sich einen Augenblick vor dem Diner trafen, geschah dies, indem sie ihm sagte: »Frank, ich fühle, daß ich etwas für Isa und Baby tun muß. Ich werde sie für den Rest des Winters einladen.«

So ward denn eine briefliche Aufforderung an die Gräfin Clam Cräven nach Dusterhusen in Hinterpommern gesandt. Es hieß darin: »Ihr müßt mit einem der ganz großen Frachtdampfer fahren; ich kenne sie zwar nicht aus Erfahrung, aber man sagt, daß sie jetzt im Winter bei Sturm viel ruhiger im Wasser liegen als die Schnelldampfer, und da ich einen der Direktoren gut kenne, kann ich euch Plätze zu halben Preisen verschaffen. Die paar Tage länger auf dem Meer wer den euch ja sicher zuträglich sein. Seereisen werden jetzt mehr und mehr als Gesundheitskur verordnet.« Allerhand guter Rat folgte, besonders über die große Frage der mitzunehmenden Toiletten, was nach Gräfin Mallones Bewertung die wichtigste Seite jedes Lebensereignisses war. »Bringt nur eure besten Sachen,« schrieb sie, »und denkt nicht etwa, daß man Kleider hier noch tragen kann, die drüben nicht mehr recht gehen – für Amerika ist das Beste nur eben gut genug.«

Einige Wochen später, als die Strahlen einer blassen Wintersonne mühsam durch Rauch und Nebel drangen, dampfte ein Riesenfrachtschiff in den Hafen von New-York. Trotz seiner modernsten Struktur erschien es wie ein Fahrzeug aus Märchenland, denn es war über und über bereift und mit Eiszapfen ganz besetzt; Masten und Taue glitzerten schneeweiß, als seien sie aus Glas geblasen und aus Zuckerfäden gesponnen.

Nur wenig Passagiere entstiegen dem Schiff. Zwei Damen waren unter ihnen, und am nächsten Tage las man in den Morgenblättern unter der dick gedruckten Überschrift:

»Wichtiger Zuwachs der fremden Gesellschaft in Washington,

Ankunft von Gästen in einer der beliebtesten

Botschaften,

Schöne Mutter einer schönen Tochter« –

daß die Gräfin Clam Cräven mit ihrer Tochter zu Besuch, bei ihrer Schwester, der Gräfin Mallone, eingetroffen sei.

Die Damen, die sich mittlerweile von New-York nach Washington begeben hatten, lasen dort am Frühstückstisch auf der Botschaft die Beschreibung aller Einzelheiten ihres Aussehens und ihrer Reisetoilette.

»Das ist das erstemal, daß ich in die Zeitungen komme,« sagte Komtesse Baby und verweilte mit Behagen bei der Schilderung ihrer goldenen Haare und ihrer, wie der Journalist versicherte, aristokratischen Haltung.

»Da steht, wir sähen wie Schwestern aus, Mama,« fuhr sie fort, »könnte man das denn wirklich glauben?«

»Viel eher, als daß du deiner Mutter Tochter bist,« meinte Graf Mallone, dessen Stimme so klang, als sei er stets müde.

»Glauben die Menschen eigentlich alles, was in den Zeitungen steht?« fragte Baby weiter, und ihr Onkel antwortete: »Manches nehmen die Leser auf Treu und Glauben hin, wenn es sich nämlich um Dinge handelt, bei denen sie sich kein Urteil zutrauen, ob es auch wirklich so ist, wie die Zeitungen behaupten. Davon aber, ob ein Mädchen schön ist, können sich selbst solche überzeugen, denen die Fähigkeit zur Bewertung geistiger Bedeutung abgeht. Daher ist es für einen Journalisten viel schwerer einer Frau den Ruf der Schönheit zu verschaffen als einem Minister oder Diplomaten die Reputation, daß er ein großer Staatsmann sei.«

»Ich sehe aus den Zeitungen, daß ihr einen interessanten Mitreisenden gehabt habt, den berühmten Brückeningenieur Erich Brincken,« sagte Gräfin Mallone.

»O, wie kann man den nun interessant finden!« sagte Baby und verzog ihren hübschen kleinen Mund geringschätzig; »ein schrecklich ernster, alter Mann.«

»Alt?« fragte Gräfin Mallone erstaunt, »so erscheint er wohl nur deinen siebzehn Jahren. Wir kennen ihn von seinem letzten Aufenthalt in Amerika – er muß so Ende der Dreißig sein.«

»Nun ja, Tante Aga,« antwortete Baby, »ich meine ja auch nicht gleich schneeweißes Haar und Brillen, aber so etwas Ernstes, Besonderes. Während der ganzen Überfahrt hatte ich bei Herrn Brincken das Gefühl, das ich als Kind immer den Erwachsenen gegenüber empfand: es kam mir vor, als sei ich wieder klein geworden. Übrigens müßt Ihr Mama nach ihm fragen, denn er hat ja die ganze Zeit nur mit ihr gesprochen.«

Es war, als zöge eine leichte Röte über der Gräfin Clam Cräven Gesicht, und sie sagte etwas eilig: »Herr Brincken hat mir gut gefallen, und wir haben während der Überfahrt sehr angenehme Stunden verbracht. Er erzählte mir, daß er nach den Vereinigten Staaten käme, um eine neue Eisenbahnbrücke zu besichtigen, die kürzlich gebaut worden sein soll.«

»Ja,« sagte Mallone, »ich habe schon davon gehört. Die Brücke ist von Ted Vansittart auf einer seiner neuen Bahnen gebaut worden, und er sagte mir, daß er Brincken hier erwarte. – Aga,« wandte er sich an seine Frau, »wir wollen suchen, Isas berühmten Landsmann möglichst oft zu sehen – interessante Leute sind auch hier so selten.«

»Ach, Onkel Frank,« rief Baby dazwischen, »ich finde hier alles so himmlisch amüsant und neu, daß ich wünschte, wir könnten unser altes Dusterhusen verkaufen und ganz hier bleiben.«

Im Hause der Gräfin Mallone war eine Privatsekretärin angestellt, die die zahllosen Billette und Einladungen für die Damen erledigte und die den aufreibenden Telephondienst versah. Frühmorgens schon klingelte der Apparat und klingelte den ganzen Tag, oft eilige Anfragen und wichtige Bestellungen, öfter noch gleichgültige, kleine Gespräche übermittelnd: »Unmöglich, grüne Nelken zu beschaffen, werde schwarze Iris für Tafeldekoration senden.« »Wollen Sie morgen mit mir nach New York zum ›Parsifal‹, nachher Souper mit Jack bei Sherry« – »Heute wird's im Kongreß stürmisch hergehen über Venezuela, kommen Sie mit?« – »Bin eben mit meinem Automobil 100 Meilen von Washington niedergebrochen – bitte mit Lunch nicht auf mich zu warten,« Oder auch: »Holla, holla! Guten Morgen, wie geht's? Sie sahen gestern reizend aus, alle Welt ist entzückt von Ihrer Toilette, adieu, adieu!« – Waren die Damen aus, so notierte die Sekretärin gewissenhaft alles, was während ihrer Abwesenheit einlief und was alles dazu dienen sollte, das Leben amüsant zu gestalten. Denn sich zu amüsieren, war ein anerkannter Beruf, und die Technik dieses wie eines jeden Berufes zu bewältigen, erforderte viele Mühe. Eine Menge gleichgültiger Dinge füllte die Tage derart, daß man am Abend meinte, eine große Arbeit getan zu haben und sich sogar einbildete, die Befriedigung getaner Arbeit zu empfinden, und Isa sagte sich beim Anblick dieses Treibens, daß alle Menschen wohl für Arbeit bestimmt sein müßten, denn gerade solche, die keine ersichtliche haben, beweisen dies am deutlichsten, indem sie nicht rasten, bis ihre Vergnügungen derart gestaltet sind, daß sie harter Arbeit zum Verwechseln ähnlich sehen.

Isa fühlte sich in dieser fremden Welt zuerst etwas verloren; es war ihr, bei vielem, was sie sah und hörte, als habe sich die Bewegung der Wogen, die sie auf dem Schiffe gefühlt, auf die Erde übertragen, und als schwanke so manches, was sie bisher für feststehend gehalten.

Baby dagegen fand sich zwischen den neuen Menschen, Dingen und Begriffen mit einer Leichtigkeit zurecht, als sei sie von jeher gerade dafür bestimmt und erzogen worden.

»Wie schade, daß sie nicht meine Tochter ist,« dachte Gräfin Mallone, wenn sie bemerkte, wieviel bewundernde Blicke der beinahe noch kindlich schönen Nichte folgten. »In ihrer Anpassungsfähigkeit ist sie geradezu amerikanisch und würde so gut in unsre Welt passen, daß man durch ihre Erfolge selbst wieder anfinge, daran Spaß zu finden, und es wäre eigentlich ein großes Glück für Baby, dauernd in unser Milieu zu kommen; denn wie so viele Mütter versteht die arme Isa ihre Tochter offenbar gar nicht und hat keine Ahnung davon, sie ins rechte Licht zu setzen oder gar sich nach einer wirklichen Lebenschance für sie umzutun.«

In Gräfin Mallones Leben, wo alles so regelrecht verlaufen war wie Ordensverleihungen an inländische Beamte, die bloß ein höheres Lebensalter zu erreichen brauchen, um gewisser Ehren sicher teilhaftig zu werden, gab es doch einen Umstand, der dem Vorschriftsmäßigen nicht entsprach: sie hätte offenbar nach einjähriger Ehe einen Sohn und nach dreijähriger eine Tochter haben sollen – beide aber waren ausgeblieben. Um diese Inkorrektheit wettzumachen, sprach sie gern über Erziehung und deutete an, wie bedauerlich wenig davon diejenigen Frauen verständen, die Kinder hatten – vor allem aber ihre eigene Schwester.

So ward Baby eine willkommene Zerstreuung für die Tante, die sich selbst einredete, daß sie an der Nichte eine Mission zu erfüllen habe. Sie schien sie vorerst darin zu erblicken, Baby für die verschiedenen gesellschaftlichen Veranstaltungen der Washingtoner Saison mit den richtigen Toiletten zu versehen. »Meine arme Schwester,« dachte sie, »war ja immer ein bißchen unpraktisch, und auf ihrer Klitsche ist sie ganz weltfremd und so verträumt geworden, daß sie gar nicht recht vorher übersieht, ob Babys Rosaseidenes für das kleine Diner noch geht und ob der Fliederhut zu den Rennen geeignet ist.«

Denn Gräfin Mallone gehörte zu den Damen, in deren Vorstellung sich alle Begebenheiten sofort in Toilettenfragen umsetzen. Sie war ihrem Manne in nordisch rauhe und in südlich heiße Länder gefolgt, hatte Krönungen und Beisetzungen von Staatsoberhäuptern,Weltausstellungseröffnungen, Friedenskonferenzen und Siegesfeste mitgemacht und bei alledem die sich häufende Erfahrung gesammelt, daß die eine unausbleibliche Folge eines jeden Ereignisses die ist, die Anschaffung bestimmter Hüte und Kleider nötig zu machen. Gräfin Mallone besaß im übrigen wenig Phantasie; aber bei jeder Nachricht, die ihr an Abwechslung reiches Leben brachte, sah sie sich sofort, wie in einem Spiegel, in der dadurch bedingten Toilette – im Yachtingkostüm, in vorschriftsmäßigem Hofdecolleté mit Schleier und Courschleppe, in einem der Hofansage entsprechenden Trauergewand, in Domino und Maske, in Automobilkappe, Mantel und Brille, – unzählige Variationen gab es da, die, durch neue Sports und neue Arten zu reisen, das Dasein einer repräsentativen Dame von Jahr zu Jahr mehr komplizierten. Halb neidisch, halb geringschätzig lächelnd suchte sie sich jene fernen Zeiten vorzustellen, wo die Wände eines einzigen kleinen Salons im Schlosse Favorite genügten, um die Abbildungen der berühmten Modedame, der Markgräfin Sibylla von Baden, in ihren sämtlichen Trachten aufzunehmen! Die Kleider der Gräfin Mallone bedeckten Kilometer von Vergangenheit. Sie lagen hinter ihr wie zahllose abgelegte Schlangenhäute, in verwirrender Verschiedenheit und doch in erdrückender Monotonie.

Und nun leitete sie Babys erste Schritte auf diesem selben Weg beständigen An- und Ausziehens, wo Jours, Bälle, Diners, Automobil- und Schlittenfahrten die Stationen des Daseins bildeten und als dessen Endziel ihr für die Nichte eine möglichst viel Annehmlichkeiten bietende Partie vorschwebte. – Es würde freilich nicht leicht sein! – eine vermögenslose Europäerin? und gerade in Amerika, dem Lande der reichen Mädchen? Aber Baby war so auffallend frisch und hübsch – und außerdem spornten Schwierigkeiten die Gräfin stets an. Ihre Sportinstinkte erwachten. Das war es ja, was ihrem Dasein gefehlt hatte: ein Zweck, der Anstrengungen lohnte. Die Langweile der letzten[22] Zeiten war verschwunden. Überlegend und abwägend schaute sie sich in ihrem Bekanntenkreise um, wo die heiratenden jungen Männer leider so selten waren, und es dafür um so mehr solcher gab, die stets bereit waren, sie selbst oder andre verheiratete Frauen sehr reizend zu finden. Sie glaubte aber doch schon denjenigen entdeckt zu haben, dessen Gefühle sie hoffte ehewärts lenken zu können.

An einem der ersten Nachmittage nach Ankunft ihrer Schwester und Nichte gab Gräfin Mallone ihnen zu Ehren einen großen Tee.

Es kamen ein paar hundert Gäste. Die Mehrzahl waren Damen, die alle eine gewisse gleichmäßige Eleganz zur Schau trugen und für die Eröffnung einer Konversation mit neu eingetroffenen Europäern über drei Phrasen verfügten: »Ich bin entzückt, Sie zu sehen,« oder: »Ich hoffe, Sie haben eine gute Überfahrt gehabt,« am häufigsten jedoch: »Wie gefällt Ihnen Washington?«

So defilierten sie durch den ersten Saal, wo die Botschafterin stand, umgeben von ihren Verwandten und einigen Attachés. Gräfin Mallone erweckte bei solchen Gelegenheiten immer den Eindruck, als stände sie auf den Stufen eines Thrones, und die Prinzessin, bei der sie einst Hofdame gewesen, würde ihre Freude daran gehabt haben, hätte sie sehen können, wie getreulich sie von ihr kopiert wurde.

Vom ersten Saal fluteten die Gäste allmählich weiter in einen zweiten Raum, wo es heiterer zuging und wo an einem großen Tisch allerhand Erfrischungen von einigen jungen amerikanischen Damen verabreicht wurden, deren Assistenz sich Gräfin Mallone, Washingtoner Sitte gemäß, erbeten hatte.

Junge Diplomaten waren in großer Zahl unter den Gästen vertreten, und als die Stunde vorschritt, begannen auch amerikanische Männer zu erscheinen – die bis dahin vielleicht Wichtigeres zu tun gehabt hatten.

Wie bei den meisten derartigen Festen waren auch ein paar gerade durchreisende Berühmtheiten geladen: ein alter deutscher Autor, der ein statistisches Werk über den Kleiderluxus in Amerika zu schreiben beabsichtigte, und ein junger französischer Poet, dekadent modernster Schule, der sich in die Tracht des Jahres 1830 kleidete und zu seinem großen Lehrgedicht »Mulier nefas aeternum,« das die Notwendigkeit der Ausrottung der Frau beweisen sollte, Material in Amerika zu sammeln hoffte.

Gräfin Mallone aber spähte erwartungsvoll nach der Saaltüre, durch die noch immer große Hüte mit langen Federn, weiche Pelzstolen, große Muffen auf sie zuströmten. Und endlich, die höchsten Damenhüte überragend, tauchte jetzt ein junges, glattrasiertes Männergesicht auf. Es war alles fest und bestimmt an diesem Kopf – als sei er von einem Künstler gemeißelt, dessen Hand keinen Augenblick geschwankt hatte, um das Bild, das seinem inneren Auge vorschwebte, wiederzugeben. Der Neuankommende hatte eine klare glatte Stirn, über der sich die dunklen, kurzgeschorenen Haare senkrecht in die Höhe hoben, seine starken Brauen waren in einem geraden Strich gezeichnet und beschatteten Augen, die keines Schattens bedurften; unerschrocken blickten sie und voll siegreicher Zuversicht, die zu sagen schien: »Ich glaub es euch gar nicht, daß die Welt so schwer zu überwinden ist.« Und die feste Linie des Mundes, das stark entwickelte Kinn gaben den Augen ein gewisses Recht, so zu sprechen.

Nun stand er vor den Damen, und Gräfin Mallone sagte zu ihrer Nichte: »Baby, ich will dir einen meiner besondren Freunde vorstellen, Mr. Ted Vansittart.«

»Wer mit solchen Worten empfangen wird, bedauert doppelt, so spät zu kommen«, sagte Ted, »aber Brincken war bei mir, und wir hatten uns festgesprochen. Er selbst muß übrigens auch gleich hier sein.«

Während er noch sprach, kam Brincken auch schon durch die lichter werdenden Reihen der Gäste auf die Damen zugeschritten und wandte sich gleich an Isa. Als sie nun die beiden Männer nebeneinander vor sich stehen sah, fiel es ihr auf, daß eine entfernte Ähnlichkeit zwischen ihnen bestand, die mehr im allgemeinen Typus als in einzelnen Zügen lag. Zu Erich Brincken aufschauend, sagte sie sich, daß die Auswanderer, die vor Jahrhunderten in den neuen, unwirtlichen, aber Freiheit verheißenden Weltteil gezogen waren, so entschlossen und durch herbes Schicksal gestählt wie er ausgesehen haben mußten, und daß ihnen dann in der neuen Heimat Söhne geboren wurden, die, wie Ted Vansittart, all ihre zähe Tüchtigkeit geerbt hatten, über denen aber der Zauber selbstvertrauender Zuversicht eines neuen Menschengeschlechts lag, das die Knechtschaft nie gekannt.

»Sie müssen dafür beide länger bleiben«, sagte Aga: »Mein Mann freut sich schon sehr, Sie zu sehen, Herr Brincken, und sagte mir, ich solle Sie ja festhalten. Und mit Ihnen, Mr. Vansittart, muß ich besprechen, was wir meiner schauenslustigen Nichte in Washington zu zeigen haben.«

Erst nachdem die andren Gäste gegangen und nur die beiden Herren und der jüngste Attaché der Botschaft, Prinz Pogarell, geblieben waren, kam Graf Mallone aus seinem Arbeitszimmer zum Vorschein.

»Ich komme wie immer zum besten Moment der Feste meiner Frau, nämlich wenn sie vorüber sind,« sagte er in seiner müden Art.

»Ja, es war heute ein recht angreifendes Vergnügen«, meinte Aga beistimmend.

»Aber dafür wird sicherlich morgen wieder im ›Spiegel‹ stehen, daß niemand so schön zu empfangen versteht wie die schöne Gräfin Mallone«, warf Ted ein.

»Ach, lieber Mr. Vansittart«, erwiderte Aga in lässigem Tone, »ich werfe ja nie einen Blick in den ›Spiegel‹.«

»Und doch brauchte sich niemand weniger als Sie vor dem zu fürchten, was ihm der Spiegel sagen kann«, antwortete Ted.

»Das war mal wieder eine Ihrer netten kleinen Reden, Mr. Vansittart, bei denen ich immer glaube, es spricht aus Ihnen irgend ein ferner europäischer Vorfahre. Findest du nicht auch«, wandte sie sich an Baby, »daß man an Spitzenjabots und Eskarpins gemahnt wird?«

»O, Tante Aga«, rief Baby und schaute Ted prüfend und mit sichtlichem Gefallen an, »ich finde im Gegenteil, Mr. Vansittart hat etwas von dem, wie ich mir einen rough rider vorstelle – das ist[27] auch viel romantischer als so ein Rokoko-Herr, der nichts Besseres konnte, als sich den gepuderten Kopf abschlagen zu lassen.«

»Will aber doch auch gelernt sein, mit Anstand auf Guillotine gehen«, meinte sinnend der kleine Prinz Pogarell, »bleibt immerhin ganz nette Leistung.«

»Als ich Mr. Ted Vansittart zum erstenmal sah, kam er Ihren Vorstellungen von rough riders recht nahe, Komtesse Baby«, sagte nun Brincken. »Ich war damals, es sind schon etliche Jahre her, mit Mr. Teds Vater zum Endpunkt seiner Bahn gefahren, wo er gerade eine Brücke nach meinen Plänen bauen ließ. Unter den Arbeitern war ein Aufstand ausgebrochen, und die Leute versammelten sich drohend um den Waggon, in dem Mr. Vansittart und ich wohnten. An einem Tage fielen sogar einige Schüsse. Wir waren in einer argen Klemme. Da, als wir eines Tages wieder mit den Haupträdelsführern verhandelten, sahen wir plötzlich einen Reiter von weitem heransprengen, ein Gewehr in der Hand schwingend. Er durchbrach die Menge, und zu unsrem größten Erstaunen erkannten wir den jungen Ted, den sein Vater im Kollege in Harvard sicher aufgehoben wähnte.«

»Na, das war aber ganz natürlich«, meinte Ted. »Auf der Schule hatte ich in der Zeitung gelesen, daß es auf der Bahn meines Vaters toll zuginge und daß nach ihm geschossen worden sei; da sagte ich mir, wenn das nochmal geschieht, soll wenigstens einer da sein, der den Schuß erwidern kann. Daneben sind die alten Griechen und Römer ganz gleichgültig. – So machte ich mich denn aus dem Staube, Geld hatte ich zum Glück, fuhr, so weit die Bahn ging, und ritt dann dorthin, wo ich wußte, daß mein Vater sein mußte. Das beste an der Sache war, daß ich es durchsetzte, nicht mehr nach Harvard zurück zu müssen, sondern von da ab bei praktischen Dingen blieb, die mir besser zusagten als das klassische Altertum.«

»Famos!« rief Baby mit glänzenden Augen.

»Ja, muß riesig nett gewesen sein«, meinte Pogarell, »Schule schwänzen, auf Sozialdemokraten losgehen, hätte mir auch viel Spaß gemacht – in Fürstenschule zu Hause leider gar keine Gelegenheit zu so was, – auch nie genug Taschengeld gehabt.«

»Und seitdem bauen Sie nun selbst Eisenbahnbrücken?« fragte Baby, zu Ted gewandt.

»Und was für welche«, antwortete Brincken statt seiner; »damals holte sich Mr. Teds Vater noch Rat bei mir – heute bin ich gekommen, um das neueste Werk des Sohnes zu bewundern.«

Isa war zu Hause geblieben, während Gräfin Mallone mit Baby zu einer Reihenfolge von Nachmittagsempfängen fuhr. Es gab abends noch ein Diner, eine musikalische Soirée und einen Ball zu absolvieren, und um dafür Kräfte zu sammeln, hatte sich Isa in dem kleinen Salon ihrer Schwester auf das Sofa am Kamin gelegt. Der Teetisch stand neben ihr, und das Licht der glimmenden Holzscheite fing sich in den silbernen Geräten, blitzte auf in den geschliffenen Kristallschalen und schimmerte durch die dünnen Meißner Täßchen. Das Wasser summte leise im Kessel, und Isa empfand mit physischem Wohlbehagen die Ruhe dieser Stunde. Es waren nur wenige elektrische Lichter angedreht. Sie verbreiteten unter ihren rosa Schleiern einen sanften warmen Schein, der doppelt anheimelnd wirkte, wenn gerade ein scharfer Windstoß durch die Straße fegte oder den Schornstein hinabfuhr, daß die Funken im Kamin aufsprühten.

1. Oktober 2020 10:28 0 Bericht Einbetten Follow einer Story
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